Reichtum ist die Abwesenheit von Furcht, Dinge zu verlieren.
Autor: besser
Der lokale Handel
Beraten werde ich Sie bestimmt nicht!
Ich möchte eine Sichtschutzwand kaufen. Der Anforderungen an die Wand sind recht überschaubar. Sie soll ca. 250 cm bis 300 cm breit und ca. 140 cm hoch sein.
Online first – der Reflex
Als unbelehrbarer Online-Shopper beginnt mein Projekt intuitiv im Netz. Nach einer ersten Recherche im Internet entscheide ich mich dann aber, doch lieber lokal zu kaufen und die leidenden kleinen Händler vor Ort zu unterstützen. Diese Entscheidung wird neben den moralischen Bedenken meiner Frau auch von der Tatsache unterstützt, dass ich als ambitionierter Hobby-Sichtschutzwand-Setzer nicht ganz entschlüsseln kann, was das „Anschluss-Zaunfeld-Set “ inhaltlich exakt ausmacht… Auch wenn es mir schwerfällt das einzugestehen – ich brauche wohl doch ein wenig Beratung. Bei dem Stichwort fällt mir sofort ein, dass das ja genau die Stärke ist, die nur lokale Händler auszeichnet!
Buy locally – die Vernunft
Bei uns im Ort gibt es einen Baumarkt, der nicht zu den großen Ketten der Branche, sondern zu einer kleineren „Zweckgemeinschaft“ gehört. Der Markt ist noch inhabergeführt, hat qualitativ deutlich höherwertige Produkte, dem entsprechend aber auch recht hohe Preise. Mindestens einmal im Monat tausche ich meine Gasflasche hier aus und gönne mir manchmal eben auch etwas besseres Werkzeug für den Garten.
Also geht es am frühen Sonnabendmorgen mit dem Papier-Katalog des Baumarktes an den Tresen des selbigen. Bei meiner Ankunft bin ich der einzige Kunde im Markt. Auf der anderen Seite des Tresens sitzen zwei Mitarbeiter, die sich unterhalten, eine Dame arbeitet am PC. Nach einem freundlichen „Guten Morgen!“ von mir nimmt die Kommunikation zunächst nur zögerlich Fahrt auf. Die beiden Herren fühlen sich offenbar nicht so richtig zuständig und führen ihr Gespräch unbeeindruckt von meinem Erscheinen und fordernden aber nahezu unbeantworteten Gruß fort.
Plötzlich wird mir als Amazon-Jünger die unglaublich physische Präsenz der Tresen bewusst. Beim Online-Shopping werde ich immer mit den super Schnäppchen willkommen geheißen, beim Betreten eines Online-Shops werden mir spannende Produkte angeboten, die manchmal sogar zu meinen bisherigen Käufen passen! Ohne persönlichen Kontakt fühle ich mich online meistens als gern gesehener Gast. Viel Emotionalität oder Freude über meine Person als potentiellen Kunden hat mich hier bislang nicht empfangen.
Marktbarrieren
Nun stehe ich hier an einem frühen Samstagmorgen und vor mir scheint der Tresen plötzlich gewachsen zu sein – Porters Markteintrittsbarrieren bekommen eine seltsame neue Bedeutung…
Nachdem mir nun die Machtverteilung im Markt klar vor Augen geführt wurde, wird die Kälte der Situation zumindest ein wenig gemildert, als die PC-Dame dann mitteilt, das sie bald Zeit für mich habe. Die beiden Herren sind noch immer mehr oder weniger im Gespräch.
Da ich mir ein paar Tage vorher bereits den Katalog des Baumarktes besorgt und das gewünschte Modell der Sichtschutzwand ausgesucht hatte, hoffte ich nun, mit dieser Vorbereitung und der dadurch gezeigten Markentreue zumindest bei der PC-Dame ein paar Sympathiepunkte sammeln zu können. Doch der aufgeschlagene Katalog hilft weniger als erhofft, als die Dame dann mit Zettel und Stift an den Tresen tritt.
„Seite 21 also. Was wollen Sie denn bestellen? Die Preise können Sie sowieso schon mal vergessen – die sind Schall und Rauch„
Das ist ein etwas unerwarteter Einstieg – zumal die Preise auf der Webseite des Baumarktes denen im Katalog entsprechen.
„Holz ist unglaublich teuer geworden. Den aktuellen Preis kann ich Ihnen nicht sagen. Was soll ich denn nun bestellen?„
Meine Verwunderung verdoppelt sich nun: Zum einen besteht die Sichtschutzwand aus Kunststoff* und zum anderen sind die Preise auf der eigenen Webseite ja durchaus ein deutliche Indikation des tatsächlich zu realisierenden Endverbraucherpreises.
Diese beiden Punkte ausblendend, lege ich motiviert los, schnappe mir einen Block, der auf dem Tresen liegt und skizziere mein sehr einfach strukturiertes Bauvorhaben. Doch weit komme ich damit nicht.
„Ich werde Sie hier nicht beraten! Sie sagen einfach nur was Sie wollen und ich bestelle das!“
Mein Weltbild fängt nun ein wenig an zu wanken. Bin ich nicht gerade hier her gekommen, weil ich in einem echten Gespräch zwischen Fachmann und Amateur gut beraten werden möchte? Vielleicht kann ich die Situation ja durch fachlich anspruchsvolle Fragen spannender für die Dame gestalten und sie so von den Vorteilen der Beratungschance überzeugen. Ich beginne also mit der Frage, was denn in dem Anschlussset enthalten sei und ob die Ergänzung durch einzelne Module ggf. die günstigere Zusammenstellung sei. Die Beantwortung Aufgabe ist nur auf den ersten Blick herausfordernd:
- Ich benötige eine nicht konkret festgelegte Breit zwischen 250 cm bis 300 cm und eine Höhe von ca. 100 cm
- Das Basisset wird mit den Maßen 178 x 183 cm angegeben
- Die Elemente haben eine Höhe von 15 cm
- Das Anschluss-Zaunfeld-Set hat die Maße 89 x 93/183 cm
Die Frage ist nun, ob sich das Anschluss-Zaunfeld-Set mit einzelnen Elementen ergänzen lässt oder ob ich das Basisset einfach zersäge…
Außerdem erläutere ich der jetzt zunehmend sehr genervten Dame, dass die Bilder im Katalog nicht hilfreich sind und ich vor ein paar Jahren bereits einzelne Module genau hier an diesem Tresen gekauft hätte. Leider wird das Gespräch an dieser Stelle nicht konstruktiver. Es erfolgt nochmals der recht deutliche Hinweis, dass hier keine Beratung stattfinden wird und ich sagen solle, was ich bestellen möchte. Außerdem gäbe es keine anderen Bestelloptionen als die beiden Set-Pakete. Nachdem ich nun auch langsam weniger Vergnügen an meinem politisch korrekten Lokalbesuch habe, schnappe ich mir den Katalog verlasse den Baumarkt.
Ich habe nun das Basis-Set online gekauft und es zersägt.
Leider ist diese Szene deutlich öfter vorzufinden, als mir lieb sein kann. Es gibt ohne jeden Zweifel auch das genaue Gegenteil! Es gibt auch in meiner Umgebung einige (leider immer weniger werdend) Geschäfte, die sich um ihre Kunden wirklich leidenschaftlich kümmern und sie als Fachleute überzeugend beraten. Um diese geht es mir hier nicht im geringsten.
Aber für jene, die sich von den Online-Shops bedroht fühlen, den Untergang des lokalen Einzelhandels kommen sehen und sich dennoch so wenig motiviert und ambitioniert zeigen, habe ich nur wenig Verständnis und Hoffnung. Ironischerweise haben Online-Shops genau jene Muster adaptiert, die eigentlich die Domäne des lokalen Einzehändlers waren. Die Konzepte von Up-Sellings, Cross-Sellings, Trust-Signals und Kundenbewertungen sind doch keine Erfindung des Internets – sie stammen aus Eurem Alltagsgeschäft! Die Dame hätte die Chance gehabt, mir noch die passende Menge Schnellzement zu berechnen und mit zu verkaufen. Sicherlich hätte ich auch noch eine Schnur, Latten und irgendetwas Sinnvolles mit gekauft – selbst zu den höheren Preisen vor Ort. Auch wäre es völlig in Ordnung gewesen, wenn wir uns das Thema zusammen erarbeitet hätten oder sie vielleicht noch einen der nicht ausgelasteten Kollegen befragt hätte. Schade, dass so naheliegende Chancen manchmal einfach nicht ergriffen werden!
*Die Elemente bestehen aus einer Mischung von Holzfasern oder Mehl und Kunststoff.